Organisierte Kriminalität in Berlin

Betrügerische Netzwerke in der privaten Sicherheitsbranche verdienen bei der Bewachung von Berliner Flüchtlingsunterkünften viel Geld. Die Spuren führen in die organisierte Kriminalität und ins Clanmilieu. Von Adrian Bartocha und Jan Wiese

Viktor* sitzt allein in seinem tristen Wohnzimmer. Bier und Chips stehen auf dem Couchtisch, der Laptop auf seinen Knien. Viele Jahre war der 27-Jährige bereits arbeitslos und auf der Suche: nach neuen Freunden und einem neuen Anfang. Im Internet, dachte er vor drei Jahren, beides gefunden zu haben. "Die waren supernett", sagt Viktor über die Brüder, die er hier kennengelernt hat: Ali*, Ahmet* und Mehmet*. "Sie meinten, wir können gemeinsam etwas aufbauen. Und sie würden sich gut auskennen in der Branche." Die Branche ist die private Sicherheitsbranche. In Berlin besteht sie aus etwa 500 Unternehmen. Und nicht wenige, das zeigt diese Recherche, bedienen sich krimineller Methoden.

Das Strohmann-Prinzip

Solche Methoden aufspüren: das ist neben Polizei und Finanzamt die Aufgabe des Zolls. Axel Osmenda leitet dort die Abteilung "Finanzkontrolle Schwarzarbeit". Er kennt Geschichten wie die Viktors: "Wir sehen, dass man sich Geschäftsführern bedient, die abseits der Gesellschaft stehen, die Alkoholprobleme oder möglicherweise keinen festen Wohnsitz haben." Diese Geschäftsführer arbeiten nur zum Schein. Sie seien sogenannte Strohmänner, sagt Axel Osmenda. Gesteuert von Hintermännern wie Ali*, Ahmet* und Mehmet*. Die würden mit solchen Konstruktionen einen simplen Zweck verfolgen: "Das ist eine Verschleierungstaktik, die uns und den anderen Prüfbehörden die Prüfung erheblich erschwert." Was hier verschleiert werden soll, zeigt das Beispiel Viktors. Die drei Brüder machen ihn zum Geschäftsführer eines ihrer Sicherheitsunternehmen, "Primus Security & Service GmbH"*. Als Subunternehmen bewacht es im Jahr 2019 im Auftrag eines größeren Sicherheitsunternehmens Berliner Flüchtlingsunterkünfte. Und betrügt dabei auf unterschiedlichste Weise.

Eingesetzt trotz Verbots

So hätten von den etwa 40 Sicherheitsmitarbeitern der Firma acht überhaupt nicht eingesetzt werden dürfen. Denn sie waren entweder vorbestraft oder es liefen Ermittlungen gegen sie. Das zuständige Ordnungsamt hatte ihnen deshalb die Arbeit als Sicherheitskraft verboten. Die entsprechenden Ordnungsamt-Bescheide liegen rbb24 Recherche vor. Dennoch bewachten sie Flüchtlingsunterkünfte.Eine weitere Betrugsmasche: Viele der Mitarbeiter werden offiziell nur als Teilzeitkräfte geführt, obwohl sie Vollzeit arbeiten. Das meiste Geld erhalten sie schwarz, am Finanzamt und den Sozialversicherungen vorbei. Das hat auch Viktor erlebt. Um die Schwarzarbeiter auszuzahlen, muss er immer wieder riesige Summen von der Bank holen und bei den Brüdern abliefern – Szenen wie in einem Gangsterfilm: "Zum Teil musste ich 80.000 Euro abheben, und dann ab ins Auto. Und im Auto vor der Bank haben die Brüder schon gewartet. Die haben es sofort unter sich verteilt, zum Teil an die Wachleute bar ausbezahlt, und einen Teil haben sie behalten." Auch das belegen Kontoauszüge und Augenzeugen-Berichte, die rbb24 Recherche vorliegen.

Das Zuhälter-Prinzip

Die Umsätze des Unternehmens treiben die Brüder künstlich in die Höhe – durch Scheinrechnungen an befreundete Unternehmen, bei denen sie Überwachungen abrechnen, die nie stattgefunden haben. Kein Einzelfall in der Branche, sagt Axel Osmenda vom Hauptzollamt Berlin: "Da gibt es ganze Unternehmensstrukturen, die einzig und allein zu dem Zwecke gegründet werden, Scheinrechnungen zu legen. Damit kann man eine Menge Geld verdienen. Wenn man es geschickt macht: mehrere 100.000 Euro oder Millionen im Jahr." Und diese Strukturen, so Osmenda, gedeihen seit Jahren in der Sicherheitsbranche. Auch die “Primus Security & Service GmbH” ist Teil einer solchen Struktur. Über die drei Brüder soll die Firma nach Recherchen des rbb in ein Netzwerk von knapp 25 Security-Unternehmen eingebunden sein. Mit ständig wechselnden Schein-Geschäftsführern und Geschäftsadressen, an denen oft nur ein Briefkasten zu finden ist. In der Branche selbst sind solche Konstrukte bekannt: "Klar - das ist das Zuhälter-Prinzip", sagt ein Geschäftsführer eines etablierten, seriös arbeitenden Berliner Sicherheitsunternehmens. "Es ist wie mit Nutten, die man auf den Strich schickt. Nur dass es Sicherheitsunternehmen sind, die man aussaugt und fallen lässt und dann sofort neue Firmen gründet."

Immer wieder das LAF

In Berlin gibt es 81 Flüchtlingsunterkünfte. Für sie zuständig ist das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF). Für die Sicherheit in den Unterkünften sollen private Sicherheitsunternehmen sorgen, die dafür seit 2017 rund 150 Millionen Euro vom LAF erhalten haben. 26 Security-Unternehmen hat das LAF offiziell als Geschäftspartner anerkannt. Doch sollen zahlreiche weitere Sicherheitsfirmen von dem Geld des LAF profitieren – oder, im Branchen-Sprech, das LAF "aussaugen". Unternehmen, die Teil von Betrugs-Netzwerken sind und genauso agieren wie die "Primus Security & Service GmbH" mit ihrem Strohmann Viktor. Ganze Wachschichten ohne fachliche Voraussetzung oder vorgeschriebene Zuverlässigkeitsnachweise, permanent fehlendes Wachpersonal, Abrechnungsbetrug: Hinweise über solche eklatanten Missstände landeten nach rbb-Informationen immer wieder beim LAF, über Jahre. Wie ungeniert manche Unternehmen dabei vorgehen, verdeutlicht folgender Fall: Laut dem rbb vorliegenden Lohnabrechnungen aus dem Jahr 2019 sollen alle Sicherheitsmitarbeiter einer Security-Firma in der Musterstraße 1 in 12051 Neukölln wohnen. Eine Straße, die es gar nicht gibt, wie eine kurze Google-Recherche zeigt. Wie in Viktors Unternehmen erhalten auch hier die Angestellten ihre Löhne in bar. Außerdem wurden viel mehr Stunden beim LAF abgerechnet als tatsächlich geleistet. Das zeigt der Vergleich ihrer vorgeblichen Einsatzzeiten in den Flüchtlingsunterkünften mit den Lohnabrechnungen. Auf diese Weise soll das Unternehmen in nur drei Monaten knapp 40.000 Euro kassiert haben, unrechtmäßig. Auf Nachfrage wollte sich das LAF nicht zu dem konkreten Fall äußern.

Die Spuren führen in die organisierte Kriminalität

Nach rbb-Recherchen ist dieses Unternehmen Teil eines weiteren Betrugs-Netzwerkes, das genauso funktioniert wie das um die drei Brüder Ali, Ahmet und Mehmet und ihren Strohmann Viktor. Rund 30 Unternehmen insgesamt sind nach Erkenntnissen von rbb24 Recherche in solche Netzwerke involviert. Die Berliner Polizei bestätigt auf rbb-Nachfrage Bezüge solcher Netzwerke zur organisierten Kriminalität. In einzelnen Fällen sollen solche Sicherheitsunternehmen Mitgliedern der so genannten Großfamilien gehören, so die Polizei. Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten verweist in einer Stellungnahme auf seine umfangreichen Kontrollmechanismen, die Einrichtung einer Beschwerdestelle und eine neue Vertragsgestaltung seit November 2020. Die soll die Qualität der Bewachung verbessern. Vom Einsatz nicht genehmigter Sicherheitsunternehmen habe das Amt keine Kenntnis. Zu möglichen Betrugsfällen hat sich das LAF nicht geäußert.

Viktor tief verschuldet

Für Viktor endete der Traum vom Geschäftsführer in der privaten Insolvenz. Denn das Finanzamt und die Berliner Polizei nahmen Ermittlungen gegen das Unternehmen auf. Als Geschäftsführer musste Viktor die Verantwortung übernehmen: "Die Firma ging dann den Bach runter", erzählt er, "und ich musste für alles geradestehen. Insolvenz anmelden. Und stand plötzlich damit 100.000 Euro Schulden. Und die Brüder haben sich verpisst." Ali, Ahmet und Mehmet sind weiterhin in der Sicherheitsbranche tätig.

* aus Schutzgründen sind die Namen von der Redaktion geändert

Quelle: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2021/06/berlin-security-betrug-fluechtlingsheime-kriminalitaet-organisierte.html

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